Hildesheim, 01. Oktober 2021
Niederschwelliges Angebot für Leib und Seele
Das Netzwerk öko, fair & mehr zeichnet die Vinzenzpforte mit der Zukunfts-Hilde für den Monat Oktober aus
Beieinandersitzen, gemeinsam essen, sich austauschen: Auf der Suche nach Unterstützung haben Bedürftige schon immer an die Pforte des Mutterhauses der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul in Hildesheim geklopft. „Unser Ziel ist es, Gemeinschaft zu fördern“, betont Jeanne Golla, die Leiterin der Einrichtung. An fünf Tagen die Woche gibt es Frühstück und ein warmes Mittagessen in der Vinzenzpforte. In der sozialen Begegnungsstätte sitzen Menschen zusammen, trinken Kaffee und unterhalten sich. „Bevor ein Mensch auf die Umwelt Acht gibt, muss er seine Grundbedürfnisse erfüllen und zur Ruhe kommen können“, so die diplomierte Sozialarbeiterin. „Wir legen dafür die Basis.“
Für dieses Engagement wurde die Vinzenzpforte nun mit der Zukunfts-Hilde des Monats Oktober ausgezeichnet. Seit April diesen Jahres verleiht das Netzwerk öko, fair & mehr die Auszeichnung an besonders zukunftsfähige Projekte im Landkreis Hildesheim, um deren Bedeutung für die nachhaltige und faire Entwicklung der Region in den Fokus zu rücken. Im Februar 2020 wurde das Bündnis gegründet. Mittlerweile besteht es aus 47 Initiativen und Einrichtungen, die sich gemeinsam für die internationalen Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele einsetzen.
Mit der Vinzenzpforte wird nun erstmalig ein soziales Projekt mit der Zukunfts-Hilde ausgezeichnet. „Die Bekämpfung von Armut und Ungleichheit für mehr Teilhabe steht weit oben auf der Agenda der UN-Nachhaltigkeitsziele“, begründet Michaela Grön die Entscheidung. Sie koordiniert das Netzwerk im Rahmen ihres Nachhaltigkeitsprojektes beim Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt. Die Zukunfts-Hilde solle nicht nur an Projekte gehen, die sich mit Themen wie Klima- und Umweltschutz beschäftigen, sondern auch an Einrichtungen, die soziale Nachhaltigkeit fördern. Dabei sei die Wahl schnell auf die Vinzenzpforte gefallen.
„Die Vinzentinerinnen haben seit Gründung ihrer Kongregation im Jahr 1857 immer auch eine Hilfe für Bedürftige angeboten“, erklärt auch Matthias Böning, Geschäftsführer der Diakonie in der Region Hildesheim und Peine, „also seit mehr als 160 Jahren. Langjähriger und nachhaltiger geht es ja gar nicht.“ Diese ur-christliche, gelebte Barmherzigkeit habe eine über 2000 Jahre alte Tradition. Bei der Übergabe der Urkunde lobt Böning das „regelmäßige und niederschwellige Angebot für Leib und Seele“ und stellt zudem die Vernetzung mit anderen sozialen Angeboten wie der Bahnhofsmission oder mit Streetworkern als besonders positiv heraus.
Täglich besuchen etwa 40 bis 50 bedürftige und gemeinschaftsuchende Menschen die Vinzenzpforte. Neben Beratungsangeboten und Gemeinschaft erhalten sie hier auch eine warme Mahlzeit, zubereitet durch den Sozialen Mittagstisch Guter Hirt. Jede bedürftige Person sei willkommen – unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Einkommen. „Sie alle haben ihre eigene Geschichte“, so Jeanne Golla. Unter den Stammgästen seien größtenteils Männer. Zukünftig wolle man das Angebot weiter ausbauen, um auch Frauen gezielter anzusprechen.
Nicht jede Person, die in die Einrichtung kommt, sei von Geldnot betroffen; einige schätzen vor allem die Gesellschaft. Auch Einsamkeit sei schließlich eine Form von Armut, so Jeanne Golla. Die Vinzenzpforte sei ein Ort der Begegnung, das mache sie zu einem besonderen Angebot in Hildesheim. Viele Besucher*innen treffen sich hier regelmäßig; die meisten kennen sich seit vielen Jahren.
Aufgrund der Corona-Pandemie sei die Zahl an Bedürftigen noch gestiegen, denn die Pandemie habe prekäre Lebenslagen weiter verstärkt. Immer mehr Menschen nehmen heute Einzelgespräche und Beratungsangebote in Anspruch, stellt die Leiterin fest. Auch die Wohnungslosigkeit habe durch Corona zugenommen. Derzeit sei der Betrieb in der Vinzenzpforte wegen der geltenden Abstandsregelungen nur eingeschränkt möglich. Mit Tischen und Bänken im Garten habe man eine gute Lösung für den Übergang gefunden. Sobald die Räumlichkeiten wieder regulär öffnen dürfen, rechnet sie mit einem noch größeren Andrang: „Vor zwei Jahren haben wir Heiligabend bereits mit 80 Leuten gefeiert.“
Jeanne Golla freut sich über die Urkunde der Zukunfts-Hilde, die von einer selbstbewussten und lebensfrohen Superheldin geziert wird. Zunächst sei sie überrascht über die Auszeichnung gewesen, habe dann aber die Bedeutung der Vinzenzpforte für eine nachhaltige Entwicklung erkannt – etwa in Hinsicht auf das Problem der Lebensmittelverschwendung. „Wie dumm ist es, wie wir in unserem Land mit Essen umgehen, wie häufig Gutes weggeworfen wird“, so Golla. „Zusammen mit der Hildesheimer Tafel und dem Guten Hirten sind wir von der Vinzenzpforte auch Essensretter.“
Kristel Döhring