Hildesheim, 07. Oktober 2022
Vorreiter der ökologischen Landwirtschaft
Auf dem Hof im Klostergut Sorsum und im Bioladen von proTeam Himmelsthür arbeiten 32 Menschen mit Assistenzbedarf: Die Zukunfts-Hilde Oktober geht an sie alle
Hildesheim/Sorsum. Ökologische Landwirtschaft, Unkraut jäten statt Gift einsetzen, Gemüse regional verkaufen – all das ist am Klostergut Sorsum ein alter Hut. Seit über 30 Jahren gibt es hier biologische Landwirtschaft. ProTeam Himmelsthür, ein Tochterunternehmen der Diakonie Himmelsthür, bietet hier Beschäftigung für aktuell 32 Mitarbeitende mit Assistenzbedarf, die mit vollem Einsatz dafür sorgen, dass im Bio-Hofladen die Regale immer gut gefüllt sind. Gemeinsam bewirtschaften sie 64 Hektar Land, außerdem zwei Holzteile im genossenschaftlich genutzten Wald. Neuerdings gibt es auch eine Streuobstwiese.
Das Netzwerk öko, fair & mehr zeichnet die Bio-Landwirtschaft im Klostergut Sorsum deshalb mit der Zukunfts-Hilde des Monats Oktober aus. Das Netzwerk vergibt diese Urkunde jetzt schon zum dreizehnten Mal an Akteure und Akteurinnen aus der Region, die sich für Nachhaltigkeit, Klimaschutz, fairen Handel und soziale Gerechtigkeit einsetzen. Die Zukunfts-Hilde soll die Leistungen solcher Einrichtungen, Gruppen und Initiativen öffentlich sichtbarer machen. Michaela Grön, Leiterin des Projektes „Lernen eine Welt zu sein“ im Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt und Koordinatorin beim Netzwerk öko, fair & mehr, überbrachte die Auszeichnung gemeinsam mit Netzwerk-Mitstreiter Bernd Kolberg.
Der Bio-Betrieb der proTeam Himmelsthür sei Vorreiter und habe Pionierarbeit geleistet, lobte Bernd Kolberg in seiner Laudatio. Er muss es wissen, denn er war selbst fünf Jahre lang als Werkstattleiter für den zertifizierten Landwirtschaftsbetrieb als Teil der Werkstatt für Menschen mit Beeinträchtigung zuständig. Gemüse, Obst, Eier und Fleisch werden hier ökologisch produziert und ohne weite Wege nur in der Umgebung verkauft: im eigenen Hofladen und auf Wochenmärkten. Außerdem werden Gemüsekisten regelmäßig an 80 bis 90 Abnehmer und Abnehmerinnen aus der Region ausgeliefert. Schulklassen und Kindergarten-Gruppen haben die Möglichkeit, den Betrieb zu besuchen, damit die Kinder selbst sehen, wo das Essen herkommt, das täglich auf dem Tisch steht.
Als er hier seine Arbeit antrat, habe er von Landwirtschaft nichts verstanden, erinnerte sich Kolberg, Bio-Landbau sei „ganz schön kompliziert.“ „Ich habe das hier gelernt – vom ganzen Team“, lobte er.
Fast alle, die hier arbeiten, kommen morgens mit dem Fahrrad oder zu Fuß und gehen auch zu Fuß aufs Feld – bis auf die Schlepperfahrer natürlich. Einer von ihnen ist Andreas Kehler. Seine Aufgaben: „Pflügen, drillen, striegeln und grubbern“, zählt er auf, und lacht darüber, dass nicht alle Gäste jeden dieser Ausdrücke kennen.
Anna Wippermann versorgt im Betrieb die Tiere: „Morgens gucke ich immer zuerst, ob es den Schweinen gut geht.“ Die bekommen Futter, das vor Ort selbst angemischt wird, betont Anna Wippermann. Das wissen die sechs Schweine offenbar zu schätzen und lassen sich vom Besuch bereitwillig streicheln. Später sammelt Anna Wippermann dann noch die Eier im Hühnermobil ein und versorgt die 220 Hühner und Hähne.
Wer neu anfängt in der Bio-Landwirtschaft, probiert erst einmal die verschiedenen Tätigkeiten aus, um den richtigen Einsatzbereich für sich zu finden. Florian Hakus hat gerade seine ersten Erfahrungen im Betrieb gemacht: „Ich finde es gut, dass hier Gemüse ohne Gift gezogen wird und ganz frisch ist“, erklärt er. „Ich habe schon viel ausprobiert und mir gefällt die Zusammenarbeit mit den Leuten hier. Das macht Spaß.“ Klingt ganz so, als würde er sich entscheiden, an diesem Arbeitsplatz zu bleiben.
Tatsächlich ist dies eine Besonderheit der Arbeitsplätze für die Mitarbeitenden mit Assistenzbedarf hier, bestätigt Kolberg: Sie arbeiten nicht nur im Team, sondern haben bei den Lieferungen, im Laden und auf den Märkten auch immer wieder Kontakte zu Kunden und Kundinnen. Damit trägt der Landwirtschaftsbetrieb durch begegnungsfördernde Arbeitsplätze für Menschen mit Assistenzbedarf sehr zur Inklusion und gesellschaftlichen Teilhabe bei. Die Beschäftigten bewältigen die vielfältigen Herausforderungen ihrer Arbeit und stehen dafür oft genug sehr früh auf: „Eine tolle Leistung“, meint Kolberg.
Und welches Gemüse wird jetzt im Spätsommer geerntet? „Zur Zeit gibt es nichts, was es nicht gibt“, sagt Jan Krohne. Tomaten, Paprika, Auberginen, Zwiebeln und sogar UFOs gehören dazu – eine schalenförmig flach und rund geformte Zucchini-Sorte, die sich sehr gut zum Füllen und Überbacken eignet. Auch im Winter legen sich die Mitarbeitenden auf dem Bio-Hof nicht auf die faule Haut, denn dann sind zahlreiche Kohlsorten erntereif und aus den Gewächshäusern kommt auch noch Salat.
Beim Rundgang mit dem Teamleiter Biolandwirtschaft, Martin Ertelt, sehen die Besucherinnen auch Felder voller Blumen. Eine Sorge ist bei aller Schönheit jedoch auch hier täglich präsent: die alarmierende Trockenheit dieses Sommers. Wiebke Barth